DVD-Kritik: Über Hark Bohms Kassenhit „Moritz, lieber Moritz“

1978 war der von Hark Bohm inszenierte Film „Moritz, lieber Moritz“ der erfolgreichste deutsche Kinofilm. Heute dürfte ihn, auch weil er seit Ewigkeiten nicht mehr im Fernsehen lief, kaum noch jemand kennen. Dabei ist der Film über einen Fünfzehnjährigen, obwohl er tief in den bundesdeutschen Siebzigern verwurzelt ist und deshalb an vielen Stellen Patina angesetzt hat, auch heute noch sehenswert. Denn die Probleme, die Moritz mit dem Erwachsenwerden hat, sind universell.

Der introvertierte Moritz Stuckmann ist der jüngste Spross einer Elbdynastie. Sein Vater hat allerdings gerade das Vermögen verjubelt und der Gerichtsvollzieher schnappt sich auch die Stereoanlage von Moritz. Seine Mutter versucht noch den Schein aufrecht zu erhalten. Sein Vater hat resigniert. Seine Oma ist in einem Altersheim und, weil seine Mutter sie nie besucht, muss Moritz allein mit dem Sterbewunsch der Großmutter umgehen. In der Schule ist auch nicht alles rosig. Vor allem der Mathelehrer hat ihn auf dem Kicker. Zum Ausgleich flüchtet Moritz sich in blutige Fantasien, in denen er sich auch an dem Mathelehrer rächt.

Und dann ist da noch seine erwachende Sexualität, die er meistens damit auslebt, dass er seine junge Tante durch Schlüssellöcher beobachtet (Zur Erinnerung: Das war die Zeit vor Internet und VHS. Das war die Zeit der Pornokinos.). Zufällig trifft er die gleichaltrige Barbara. Aber will sie wirklich etwas von ihm?

Seinen einzigen Trost findet er bei einer von ihm gezähmten Ratte und in der Musik. Er spielt Saxophon.

Nach dem Erfolg von „Nordsee ist Mordsee“ beschäftigte Hark Bohm sich auch in seinem nächsten Film mit den Ängsten, Sorgen und Wünschen eines Jungen. Und, wie in „Nordsee ist Mordsee“ war auch „Moritz, lieber Moritz“ stark von Bohms Umfeld, wozu vor allem seine Kinder (die in beiden Filmen mitspielten und ihn beim Schreiben des Drehbuchs und den Dreharbeiten berieten) gehören, beeinflusst. Doch während „Nordsee ist Mordsee“ einen quasi-dokumetarischen Look hatte, sind die filmischen Vorbilder und Reminiszenzen in „Moritz, lieber Moritz“ breiter gestreut. Wenn Moritz Barbara durch Hamburg verfolgt und sich ihr nähert, weht ein Hauch Nouvelle Vague durch den Film. Wenn er seine Tante durch das Schlüsselloch beobachtet, fühlt man sich in einem Softporno („Emmanuelle“ und die Schulmädchenreport-Filme waren Kassenhits. „Der letzte Tango in Paris“ und „Im Reich der Sinne“ sorgten auch für heftige Diskussionen in den Feuilletons.). Die Szenen im noblen Familiensitz mit Blick auf die Elbe, vor allem beim gemeinsamen Essen, erinnern an die Demaskierungen des Bürgertums bei Rainer Werner Fassbinder. Die damals schockierenden Traumsequenzen und der Autounfall (den ich wesentlich graphischer in Erinnerung hatte) sorgten, wie schon bei „Nordsee ist Mordsee“, für Ärger mit der FSK über die Altersfreigabe des Films und damit um die Frage, ob auch Jugendliche im Alter des Protagonisten den Film im Kino sehen durften. Anscheinend wurde er letztendlich ab 12 Jahre freigegeben; – was seltsam ist, weil der Film jetzt eine FSK-16 hat.

Diese Traumsequenzen und die Szenen mit Moritz‘ Oma erinnern etwas an das damalige britische Filme. Das Kriegsspiel der Kinder könnte aus einem Nordirland-Drama sein. Die Folterung des Mathelehrers eine Szene aus „Uhrwerk Orange“.

Dieser Mischmasch aus unterschiedlichen Stilen fügt sich am Ende zu einem Spiegelbild von Moritz‘ Psyche und Bohm erzählt den Film auch konsequent aus Moritz‘ Perspektive.

Bohm sagt im Presseheft, dass es in „Moritz, lieber Moritz“ um Konflikte gehe, die die jugendlichen Zuschauer aus eigenem Erleben nachvollziehen könnten. Deshalb wäre ein Remake der Geschichte von Moritz im heutigen Deutschland, das den Protagonisten genauso ernst nimmt, ein spannendes Experiment.

Anmerkung zum Nachdenken: Der Jugendfilm ist freigegeben ab 16 Jahre. FSK-16-Filme dürfen im Fernsehen erst nach 22.00 Uhr gezeigt werden.

Moritz, lieber Moritz (D 1978)

Regie: Hark Bohm

Drehbuch: Hark Bohm

mit Michael Kebschull, Kerstin Wehlmann, Kyra Mladeck, Walter Klosterfelde, Grete Mosheim Elvira Thom, Uwe Enkelmann, Dschingis Bowakow, Wolf-Dietrich Berg, Uwe Dallmeier, Marquard Bohm

DVD

Arthaus/Kinowelt

Bild: 1,66:1

Ton: Deutsch (Mono DD)

Untertitel: –

Bonusmaterial: Trailer, Presseheft, Wendecover

Länge: 91 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Trailer zum Film

Wikipedia über „Moritz, lieber Moritz“

Der Spiegel: Hellmuth Karasek über „Moritz, lieber Moritz“ (Der Spiegel 11/1978)

Meine Besprechung von Hark Bohms „Nordsee ist Mordsee“

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