Wenn man heute von „Scarface“ redet, dürften die Meisten an Brian De Palmas gleichnamigen Gangsterfilm von 1983 mit Al Pacino in der Hauptrolle denken. Dabei ist der Film, je nach Blickwinkel ein Remake oder ein zeitgemäßes Update von Howard Hawks Klassiker „Scarface – Shame of the Nation“ (tja, den Zensoren, die viele Probleme mit dem Film hatten, musste man im Untertitel genau sagen, was von dem Gangster zu halten ist) von 1932 und dem sich etwas altertümlich lesendem Roman von Armitage Trail. In „Scarface“ erzählten sie, wie viele andere Autoren und Regisseure, von dem damals in den USA tobendem Gangsterkrieg. Das reale Vorbild für „Scarface“ war Al Capone, dessen Spitzname sogar „Scarface“ war. Der Roman und die Verfilmung begründeten, zusammen mit „Little Caesar“ (nach einem Roman von W. R. Burnett) und „The Public Enemy“, den Mythos des modernen Gangsters und seinen Wandel im öffentlichen Bewusstsein zur Popikone. Erzählt wird die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Mannes, der aus kleinen Verhältnissen kommt und zum mächtigen Gangsterboss wird.
Christian De Metter, der auch von Dennis Lehanes „Shutter Island“ eine grandiose Comicversion erschuf, nahm sich jetzt Armitage Trails Roman vor. Deshalb sehen wir auch nicht das legendäre Filmende, in dem Scarface schwer verwundet auf die Straße taumelt, zusammenbricht, stirbt und die Kamera nach oben zur Leuchtreklame „The World is yours“ schwenkt. De Metter erzählt die Geschichte von Tony Camonte in kurzen, knalligen, fast schon atemlosen Szenen von seiner Jugend über die ersten Jahre als Kleingangster, wie er im 1. Weltkrieg im Gefecht die Narbe erhielt, die ihm den Spitznamen „Scarface“ (Narbengesicht) verpasste, wie er nach dem Krieg erfahren muss, dass sein alter Boss tot ist und er unter neuem Namen zum die Stadt beherrschenden Gangsterboss aufsteigt. Doch schon während des Aufstiegs legt er das Fundament für sein Ende, das nur ein Tod im Kugelhagel der Polizei sein kann.
Als Gegengewicht zu Camontes unstetem Leben, was in einer sehr episodischen Erzählweise mündet, hat Christian De Metter die Panels streng, fast wie in einem der damals populären Comicstrips, bis auf drei Ausnahmen, immer mit drei Bildzeilen pro Seite, angeordnet.
Ein feiner Comic.
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Christian De Metter/Armitage Trail: Scarface
(übersetzt von Resel Rebiersch)
Schreiber & Leser, 2012
112 Seiten
21,80 Euro
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Originalausgabe
Scarface
Casterman/Payot & Rivages, 2011
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Vorlage
Armitage Trail: Scarface
Clode, 1930
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Deutsche Erstausgabe
Scarface
DuMont Noir 14, 1999
(nur noch antiquarisch erhältlich)
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Verfilmung
Scarface (Scarface – Shame of the Nation, USA 1932)
Regie: Howard Hawks
Drehbuch: Ben Hecht
mit Paul Muni, Ann Dvorak, Karen Morley, Osgood Perkins, George Raft, Boris Karloff
Deutscher Kinostart: 14. Februar 1981
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Hinweise
Wikipedia über „Scarface“ (USA 1932) (deutsch, englisch)
Filmsite über „Scarface“ (USA 1932)
Martin Compart über „Scarface“
Wikipedia über Christian De Metter (englisch, französisch)
Meine Besprechung von Christian De Metter/Dennis Lehanes „Shutter Island“