Tatort-Romane – zum Zweiten

Neben den Kölner „Tatorten“ wird normalerweise dem Münchner „Tatort“ ein konstant hohes Niveau attestiert. Doch während die Kölnern einen Hang zum penetranten Moralisieren haben, behandeln die Münchner auch schwierige Themen mit einem guten Gespür für die Münchner Eigenheiten und ohne den hocherhobenen moralischen Zeigefinger. Daran haben, für das aktuelle Team, renommierten Regisseure, wie Dominik Graf, Josef Rödl und Hanns Christian Müller, und, schon seit Jahrzehnten ,die Drehbuchautoren, die öfters auch erfolgreiche Krimiautoren sind, beigetragen. Herbert Rosendorfer, Michael Molsner, Peter Hemmer, Herbert Riehl-Heyse, Ulf Miehe, Robert Hültner und auch Friedrich Ani schrieben Drehbücher für die Münchner Kommissare.

Der Letztgenannte schrieb auch das Drehbuch für den Whodunit „A gmahde Wiesn“ in dem die Kommissare Franz Leitmayr und Ivo Batic, kurz vor dem Beginn des Oktoberfestes, den Mord an Stadtrat Hubert Serner aufklären müssen. Serner war ein Casanova und hatte bei der Vergabe der sehr einträglichen Lizenzen für die Wiesn das letzte Wort. Weil, neben Sex, Geld immer ein gutes Mordmotiv ist, sehen die beiden Kommissare sich die Wiesn-Wirte und ihre erfolglosen Konkurrenten an.

Das Tätersuchspiel ist nur der rote Faden für eine Liebeserklärung an Münchens größtes Volksfest und eine feine Soziographie des Millionengeschäftes Oktoberfest.

Denn Ani will in erster Linie ein Milieu erkunden. Dabei kann er dieses Mal, im Gegensatz seinen ebenfalls sehr gelungenen Münchner „Tatorten“ „Das Glockenbachgeheimnis“ und „Und dahinter liegt New York“, auch für die touristischen Seiten seiner Heimatstadt werben. Im Film führt das zu einigen länglichen Monologen, in denen die städtischen Lizenzvergeber, Wirte und Schausteller das nötige Hintergrundwissen über die ökonomischen Aspekte des Oktoberfestes vermitteln. Im Roman fallen diese Monologe nicht mehr ins Gewicht. Und die Sympathie für die kleinen Leute schimmert in Martin Schüllers Romanfassung vielleicht sogar etwas stärker als im Film durch. „A gmahde Wiesn“ ist, wie von den Münchner gewohnt, ein guter Krimi.

Der Bremer „Tatort“ wagte, sicher auch weil viel weniger Folgen gedreht werden, in den vergangenen Jahren immer wieder Experimente. Es gab sterbenslangweilige Whodunits, gelungene Milieustudien, ergreifende Fallstudien, in denen Kommissarin Inga Lürsen nur noch eine Nebenrolle hatte, eine tolle Aufarbeitung von „1968“, eine überflüssige von „9/11“ und packende Thriller.

Strahlende Zukunft“ ist sogar – eine Seltenheit im deutschen TV – ein Politthriller, der die Verflechtungen von Politik und Wirtschaft ziemlich genau durchleuchtet und auf ein einfaches Happy-End verzichtet.

Denn Kommissarin Inga Lürsen kämpft an zwei Fronten. Einerseits versucht sie Daniel Vegener, der mit ihrer Dienstwaffe flüchtete, von einer Dummheit abzuhalten. Er möchte beweisen, dass seine Mutter Sandra Vegener nicht verrückt war, als sie auf dem Marktplatz Richter Weller überfuhr und sich anschließend umbrachte. Sie war in der Psychiatrie eingewiesen worden, nachdem sie, zunehmend fanatisch, nach dem Leukämietod ihrer Tochter gegen die Sendemasten der Telefongesellschaft 2wave protestierte und behauptete, dass sie mit Strahlen in den Wahnsinn getrieben werden solle. Lürsen die ihr damals nicht geholfen hatte, möchte jetzt beweisen, dass die Anschuldigungen von Sandra Vegener stimmen. Aber 2wave hat weltweite Verbindungen und ist auch an einem polizeilich-militärischem Forschungsprojekt, das von Bremer Senat gefördert wird, beteiligt.

Während Lürsen den amoklaufenden Jungen sucht, versucht die Telefongesellschaft 2wave alles, um ihre Geschäfte zu sichern. Ein Menschenleben ist dabei nur eine Variable in ihrer Kostenrechnung.

Die Story hat, wenn der junge Vegener, der Killer der Firma und Kommissarin Lürsen die gleiche Beute verfolgen, eine in deutschen Krimis viel zu seltene Thriller-Spannung.

Allerdings erscheint die Reaktion von Lürsen auf den Tod von Vegener etwas übertrieben. Sie fühlt sich schuldig ihr vorher nicht geholfen zu haben und will jetzt unbedingt beweisen, dass die Selbstmörderin nicht verrückt war. Gleichzeitig, was allerdings inzwischen ein in den „Tatorten“ so gewohnter Mechanismus ist, dass es wahrscheinlich eine senderübergreifende Richtlinie dafür gibt, ist Lürsen ganz plötzlich, während der gesamten Folge, hochempört über die Gefahren von Handystrahlen und flippt vollkommen aus, als sie von den Forschungen für den Einsatz von nicht-tödlichen Waffen erfährt. Denn Lürsen glaubt, dass an Vegener eine sich offiziell noch in der Testphase befindende Waffe ausprobiert wurde, die mit Strahlen Menschen kampfunfähig machen kann.

Da wäre, wie so oft, etwas weniger folgenlose Empörung glaubwürdiger gewesen. Denn natürlich wirft Lürsen ihr Handy nicht weg und sie wird auch nicht zur Kämpferin gegen Handystrahlen.

Auch auf den Streit zwischen ihr und Stedefreund hätte ruhig verzichtet werden können. Denn dass die Kommissare während der Ermittlungen in wichtigen Fragen eine vollkommen gegensätzliche Meinung haben, und diese mit der lautstark-effekthascherischen Energie von Politikern in einer Talkshow austragen, ist inzwischen ein weiterer fester Bestandteil von jedem „Tatort“-Team, der so gehäuft einfach nur noch nervt. Früher, am Besten in den immer noch aktuellen Trimmel-“Tatorten“, wurde das viel besser gehandhabt.

Davon abgesehen ist „Strahlende Zukunft“ einer der gelungenen Bremer-“Tatorte“ und Christoph Ernsts Romanfassung eine flott gelesene Lektüre.

 

Fortsetzung folgt

 

Martin Schüller: A gmahde Wiesn

Emons, 2009

160 Seiten

8,95 Euro

Vorlage

Tatort: A gmahde Wiesn (D 2007)

Regie: Martin Enlen

Drehbuch: Friedrich Ani

mit Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Michael Fitz, Monika Baumgartner, Franziska Schlattner, Georg Maier, Fred Stillkrauth, Joram Voelklein, Bettina Redlich, Michael Tregor, Philipp Sonntag, Christian Hoening, Anita Matija, Sabine Bach

Erstausstrahlung: 23. September 2007 (Folge 674)

Christoph Ernst: Strahlende Zukunft

Emons, 2009

160 Seiten

8,95 Euro

Vorlage

Tatort: Strahlende Zukunft (D 2007)

Regie: Mark Schlichter

Drehbuch: Christian Jeltsch

mit Sabine Postel, Oliver Mommsen, Winfried Hammelmann, Ulrich Noethen, Inka Friedrich, Constantin von Jascheroff, Peter Davor, Ann-Kathrin Kramer, Alexander Radszun

Erstausstrahlung: 26. August 2007 (Folge 671)

Hinweise

Kriminalakte: Gespräch mit Hejo Emons über die Tatort-Reihe

Kriminalakte: Tatort-Romane – zum Ersten (Oliver Wachlin: Blinder Glaube; Martin Schüller: Die Blume des Bösen)

9 Responses to Tatort-Romane – zum Zweiten

  1. JL sagt:

    „Das Tätersuchspiel ist nur der rote Faden für eine Liebeserklärung an Münchens größtes Volksfest und eine feine Soziographie des Millionengeschäftes Oktoberfest“.

    Nehmen Sie mir’s bitte nicht übel, lieber Herr Bussmer, aber das ist einfach Quatsch. Der Ani weiß das und hat allenfalls einen Tatort darüber geschrieben, daß man über das Oktoberfest und seine politischen Spezialitäten keinen Tatort schreiben kann.

    Beste Grüße!

  2. AxelB sagt:

    Jetzt müsste uns der Ani mal erklären, was er eigentlich schreiben wollte.
    Aber der ist immer noch stinkig über das Ende der „Süden“-Serie.

  3. JL sagt:

    auch da bin ich anderer Meinung: daß der Wiesn-Krimi (ob im TV oder im Buch) keine Soziographie sein will, das kann ich von Anfang bis zum Ende den Produkten entnehmen. Es sind (ob’s der Autor nun intendierte oder nicht) just wegen der riesigen und offenkundigen Distanzierung von der ‚Realität‘ (der Medien) Krimis über das Krimimachen.

    Beste Grüße!

  4. Pieke Biermann sagt:

    Ich find’s immer wieder putzig, wie viele MordkommissarInnen in „Tatorten“ so die Waffe geklaut kriegen. Die Mordermittler hierzulande tragen sowas allenfalls im Promille-Bereich (so’n Halfter mit Inhalt stört doch sehr vorm Computer). Sie schleppen sowas auch nicht rum, an Tat-, Finde- oder Wohnorte von Zeugen/Verdächtigen etc. Falls sie jemanden festnehmen müssen, der vermutlich bewaffnet ist, bringen sie ein paar gut trainierte Jungs von SEK mit – weil sie das nämlich müssen.
    Ähnlich putzig sind die offenbar (ich krieg’s nur sekundär mit, ich seh prinzipiell keine „Tatorte“ mehr) ubiquitären eroto-emotionalen Verhedderungen von Chef-KommissarInnen mit hochdubiosem Personal, das seinerseits mit der „Täterseite“ verkramt ist.
    Und stete Lebensgefahr scheint irgendwie auch zum Profil des bundes-, pardon: länderdeutschen Mordermittlers allerlei Geschlechts zu gehören, as German tv sees it. Warum nur, warum?
    Aloha – P.

  5. AxelB sagt:

    Wie? Die sitzen nicht mit der Knarre im Schulterhalfter vorm PC?
    Ansonsten muss der Kommissar in seiner TV-Laufbahn mindestens einmal in eigener Sache (er soll einen Mord begangen haben) ermitteln.
    Und alle zwei Folgen (wegen persönlicher Betroffenheit) wird einer ihrer Freunde ermordet.
    Ja, das Leben als TV-Kommissar ist richtig gefährlich. Nicht so langweilig wie die Realität, in der die Kommissare stundenlang Berichte schreiben.

  6. Pieke Biermann sagt:

    Jawoll! Es lebe die langweilige Realität. Hoffen wir nur, dass die nicht eines Tages auf Bauhaus-Persiflage macht: „Reality follows fiction“…
    Und danke, Axel, für die Vervollständigung – die eiwg gemordethabensollenden KommissarInnen hatte ich ganz vergessen.
    Dann weiterhin goldenen Oktober Ende November – P.

  7. AxelB sagt:

    Das Wetter ist so schön! Ich sitze im T-Shirt in der Sonne und schlürfe Kaffee.
    Sonnige Grüße
    Axel

  8. […] Meine Besprechung von Martin Schüller “A gmahde Wiesn” (Buch zum Film, 2009) […]

  9. […] Interview mit Martin Schüller über seine Tatort-Romane (u. a. „Moltke„, „A gmahde Wiesn“, „Die Blume des Bösen„, […]

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