Über den berührenden Comic „Der Sommer ihres Lebens“

Gerda Wendt lebt im Altersheim. Während die Tage im täglichen Trott vergehen, die Kräfte und das Gedächtnis nachlassen, erinnert sich die 84-jährige an ihr Leben. Es war ein Leben, das nie für Schlagzeilen taugte oder die Welt veränderte. Aber es ist ihr Leben, das auch die Veränderungen in der Bundesrepublik reflektiert. Nebenbei. Denn Gerda gehörte niemals zu den 68ern. Das war die Generation nach ihr. Sie kümmerte sich nie um Politik. Stattdessen war sie schon in der Schule gut in Mathematik, studiert Physik, erhält sofort eine Anstellung als Assistentin, verliebt sich in Peter, soll nach ihrer Promotion 1974 in Cambridge einen Vortrag halten, schlägt für Peter ein lukratives Angebot aus, heiratet Peter, erwischt ihn beim Seitensprung, lässt sich scheiden und arbeitet wieder an der Universität. Als Privatdozentin, die niemals die große Karriere machen wird, die sie einige Jahre früher vielleicht hätte machen können.

Aber lebte sie ein falsches Leben? Verpasste sie Chancen, die sie später bedauert?

Für die Buchausgabe von „Der Sommer ihres Lebens“ überarbeiteten und erweiterten Romanautor Thomas von Steinaecker und die Eisner-nominierte Zeichnerin Barbara Yelin, die fast Gerdas Enkelkinder sein könnten, die ursprünglich in dem Online-Magazin „Hundertvierzehn“ des S. Fischer Verlags erschienene Geschichte, in der Gegenwart und Vergangenheit immer wieder nahtlos ineinander übergehen. Oft in einem Panel. Yelin zeigt in diesen Aquarellen unaufdringlich, wie gegenwärtig Erinnerungen sind. In wenigen Panels verdeutlichen sie den Lebens- und Arbeitsrhythmus eines Altersheimes, während Gerda sich an einige Momente ihres Lebens erinnert. Auch diese Erinnerungen verdichten sie auf wenige, entscheidende Momente, in denen immer wieder die gesellschaftlichen Veränderungen, die sie miterlebte, durchschimmern.

So gelingt es ihnen, auf knapp achtzig Seiten ein ganzes Leben zu erzählen, ohne jemals eine luftige Leichtigkeit zu verlieren.

Thomas von Steinaecker/Barbara Yelin: Der Sommer ihres Lebens

Reprodukt, 2017

80 Seiten

20 Euro

Hinweise

Homepage von Barbara Yelin

Perlentaucher über „Der Sommer ihres Lebens“

Deutschlandfunk: Interview mit Barbara Yelin (14. Januar 2017)

2 Responses to Über den berührenden Comic „Der Sommer ihres Lebens“

  1. […] Meine Besprechung von Thomas von Steinaecker/Barbara Yelins „Der Sommer ihres Lebens“ (2017) […]

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