Wenn Autor Brian Azzarello und Zeichner Eduardo Risso eine neue Geschichte vorlegen, ist ihnen die Aufmerksamkeit der Noir-Comicgemeinde sicher. Mit ihrem mit mehreren Eisner Awards ausgezeichnetem Crime-Epos „100 Bullets“ schrieben sie Geschichte. Kleinere Werke, wie „Jonny Double“ (1998, ihre erste Zusammenarbeit), oder Geschichten für bereits bestehende Figuren, wie Batman, vervollständigen das Bild, dass sich zwei Geistesverwandte gefunden haben. „Moonshine“ heißt ihre neueste Zusammenarbeit und der erste Sammelband liegt jetzt auf Deutsch vor.
Die Geschichte spielt 1929 in den Appalachen in Spine Ridge, West Virginia. Es ist die Zeit der Prohibition. Für Gangster ist sie ein einträgliches Geschäft. Vor allem an der Ostküste. Aus New York schickt Joe Massseria Lou Pirlo nach Spine Ridge. Er soll mit Hiram Holt verhandelt. Denn der Schwarzbrenner destilliert einen besonders bekömmlichen Schnaps. Allerdings denkt Holt überhaupt nicht daran, mit Pirlo ins Geschäft zu kommen. Während Pirlo noch versucht mit Holt und Holts Kindern zu verhandeln, bemerkt er, dass noch etwas anderes in den Wäldern ist und dieses Wesen sieht verdammt nach einem Werwolf aus.
„Moonshine“ hat alles, was zu einer zünftigen Gangstergeschichte gehört. Der Horrorplot ist auch schon sehr präsent. Und wie Azzarello und Risso nach dem Ende des ersten „Moonshine“-Bandes ihre Geschichte weitererzählen wollen, ist vollkommen unklar.
Denn die kompromisslos und ohne Rücksicht auf Verluste ausgetragene Konfrontation zwischen skrupellosen New Yorker Gangstern und sehr wehrhaften Hinterwäldlern, hat einen hohen Blutzoll und einige überraschende Wendungen. Eine klare Leseempfehlung.
In den USA ist bereits ein zweiter „Moonshine“-Sammelband erschienen. Die deutsche Ausgabe soll am 13. November erscheinen. Weitere Bände sind im Moment nicht angekündigt. Aber das sagt wenig. Azzarello und Risso sind gut beschäftigt. Image Comics, wo „Moonshine“ im Original erschient, ist ein Verlag, bei dem die Schöpfer alle Rechte an ihren Comics behalten. Das heißt, dass die Autoren darüber entscheiden, ob und wie sie eine Serie weiterführen.
Mit der überragenden und auch überragend langen Noir-Crime-Serie „100 Bullets“ entwarfen Autor Brian Azzarello und Zeichner Eduardo Risso zwischen 1999 und 2009 in hundert Heften eine alternative und sehr verwickelte Geschichte der USA. In ihren Batman-Geschichten, die jetzt vollständig in dem Sammelband „Kaputte Stadt und weitere Geschichten“ vorliegen und wenigstens teilweise schon auf Deutsch veröffentlicht wurden, zeigen sie, dass ihre düstere „100 Bullets“-Weltsicht gut in den Batman-Kosmos passt. Aber das hatte spätestens seitdem „Sin City“-Erfinder Frank Miller Batman-Geschichten schrieb, niemand mehr bezweifelt.
In „Kaputte Stadt und weitere Geschichten“ sind die beiden langen Geschichten „Kaputte Stadt“ (sechs Hefte) und „Ritter der Rache“ (drei Hefte) und zwei kurze Geschichten enthalten.
In „Kaputte Stadt“ sucht ‚Batman‘ Bruce Wayne den Mörder von Elizabeth, der jungen Schwester des halbseidenen Autohändlers Angel Lupos. Er glaubt, dass „Killer Croc“ Waylon Jones das Mädchen in Lupos‘ Auftrag ermordete. In dieser Geschichte wird Batman, kurz nach 9/11, zu einem humorlosen Folterer, der Beweise nach eigenem Gutdünken verwendet.
Die „Flashpoint“-Crossover-Story „Ritter der Rache“ spielt in einer Parallelwelt, in der in der dunklen Gasse in Gotham City nicht die Eltern von Bruce Wayne, sondern Bruce Wayne starb. Danach wurde Bruces Vater zu Batman, der auch in dieser Welt gegen den Joker kämpfen muss. Wenn es denn der Joker ist.
Azzarello und Risso erzählen in „Kaputte Stadt und weitere Geschichten“ düstere Noir-Geschichten, in denen Batman kein Strahlemann ist.
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„Batman: Damned“ ist Brian Azzarellos neueste Batman-Geschichte. Gezeichnet wird sie von Lee Bermejo. Mit ihm arbeitete er bereits bei „Batman/Deathblow“, Batman: Joker“, „Lex Luthor: Mann aus Stahl“ und „Before Watchmen: Rorschach“ zusammen.
Ihre neueste Zusammenarbeit ist der Start der neuen Reihe „DC Black Label“. Die Geschichten spielen außerhalb der bekannten Batman-Chronologie und es sollen explizit erwachsene Geschichten erzählen werden. Das tun Azzarello und Bermejo. Für einen Einstieg in den Batman-Kosmos eignet sich Azzarello/Bermejos Batman-Geschichte allerdings nur bedingt. Denn ohne wenigstens rudimentäre Kenntnisse der Welt von Batman ist sie verwirrend und undurchschaubar.
In „Damned“ trifft Batman Bruce Wayne auf Hellblazer John Constantine, der die Geschichte erzählt und der von sich behauptet, der unzuverlässigste Erzähler von allen zu sein. Nachdem Batman bei einem Kampf mit verletzt wird, kann er kurz vor seiner Enttarnung aus einem Krankenwagen fliehen. Später erfährt er aus den Nachrichten, dass sein Erzfeind, der Joker, tot ist. Er möchte herausfinden, ob er ihn getötet hat.
Aber „Batman: Damned“ ist keine einfach nacherzählbare Ermittlergeschichte, sondern ein Fiebertraum, in dem er auf alte Gegner und Dämonen trifft. Lee Bermejos wild über die Seiten angeordneten Zeichnungen visualisieren sofort, wie sehr Wayne die Kontrolle über die Ereignisse und Gotham verliert. Aber John Constantine ist da.
„Damned“ ist ein in sich abgeschlossenes auf drei Bücher aufgeteiltes Batman-Abenteuer. Die ersten beiden großformatigen Bände liegen inzwischen auf Deutsch vor. Der dritte und die Miniserie abschließende Band ist für den 3. Dezember angekündigt.
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Demnächst: Meine Besprechung von Brian Azzarello und Eduardo Rissos neuester Zusammenarbeit: der während der Prohibition in den Appalachen spielenden Krimiserie „Moonshine“.
Brian Azzarello/Eduardo Risso: Batman: Kaputte Stadt und weitere Abenteuer
(übersetzt von Steve Kups)
Panini, 2019
260 Seiten
26 Euro
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enthält
Batman: Gotham Knights #8, 2000
Batman # 620 – 625, 2003/2004
Flashpoint: Batman – Knight of Vengeance # 1 – 3, 2011
Wednesday Comics # 1 – 12, 2009
Brian Azzarello/Lee Bermejo: Batman: Damned – Band 1
(übersetzt von Josef Rother)
Panini, 2019
60 Seiten
12,99 Euro
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Originalausgabe
Batman: Damned # 1
DC Black Label, 2018
Brian Azzarello/Lee Bermejo: Batman: Damned – Band 2
Ein bisschen sind die neuen Geschichten von Hit-Girl und Kick-Ass wie eine Rückkehr zu alten Erfolgen, aber Mark Millar wäre nicht Mark Millar, wenn er einfach nur die alten Erfolge wiederholen würde. So schickt er Hit-Girl auf Weltreise und lässt ihre Abenteuer von anderen Autoren erzählen. Und Kick-Ass ist jetzt nicht mehr der Hänfling Dave Lizewski, der von einer Karriere als Superheld träumt, sondern ein Label, unter dem aktuell eine Frau gegen Verbrecher kämpft.
Doch beginnen wir, für alle, die die vorherigen Comics von Autor Mark Millar und Zeichner John Romita, Jr. nicht mehr präsent haben, mit einem kurzen Rückblick: In „Kick-Ass“ wollte Dave Lizewski ein Superheld sein. Seine ersten Versuche waren desaströs. Anstatt Verbrecher zu verprügeln, verprügelten sie ihn. Er trifft Hit-Girl, die zwölfjährige Mindy McCready, die gefährlicher als alle aus Comic und Film bekannten Kampfamazonen ist und die Verbrecher schneller massakriert, als andere Mädchen Aknepickel ausdrücken.
Das Duo Infernale erlebt mehrere Abenteuer (über die ich hier und hier schrieb) und sie werden älter. Mindy muss einmal sogar die Schule besuchen und sich wie eine brave Schülerin benehmen. Das war nichts für sie.
Nach den erfolgreichen Comics entstanden zwei ziemlich brutale und absurd witzige Actionfilme. Einer von Matthew Vaughn, einer von Jeff Wadlow. Einen dritten wird es nicht geben, weil Hit-Girl-Schauspielerin Chloë Grace Moretz inzwischen einfach zu alt ist, um ein zwölfjähriges Mädchen zu spielen.
Dieses Problem haben Comics nichts. Und so schickt Mark Millar seine kultige Kämpferin auf Weltreise. Die Auftaktgeschichte „Hit-Girl in Kolumbien“ schrieb er selbst. Jeff Lemire schrieb mit „Hit-Girl in Kanada“ die zweite Geschichte. Die dritte Geschichte „Hit-Girl in Rom“, angekündigt für Ende April, ist von Rafael Albuquerque. Und in den USA erscheint gerade eine von Kevin Smith geschriebene „Hit-Girl“-Geschichte.
In „Hit-Girl in Kolumbien“, geschrieben von Mark Millar, gezeichnet von Ricardo Lopez Ortiz, macht Mindy McCready sich auf den Weg nach Kolumbien. Dort hofft sie einen neuen Kampfgefährten zu finden. Ihr Auge fällt auf Fabio ‚Mano‘ Mendoza, einen gefürchteten Auftragskiller des Kartells. Sie befreit ihn aus dem Gefängnis und erpresst ihn, einige der Männer umzubringen, die Manu eh umbringen will. Gemeinsam würden sie die kolumbianischen Drogenkartelle besiegen. Und Mindy hätte, so sagt sie zu Mano, endlich wieder einen Partner beim Kampf gegen das Verbrechen.
Wegen dieser überkomplizierten und auch durch Mindys Erklärung nicht glaubwürdiger werdenden Prämisse agiert Mindy während fast der gesamten Geschichte wie ein vor Liebe gehirnamputierter Teenager. Das ist nicht das Hit-Girl, das wir kennen und lieben.
Nach diesem nicht so gelungenem Auftakt liefern Autor Jeff Lemire und Zeichner Eduardo Risso mit „Hit-Girl in Kanada“ dann das, was man von einer Hit-Girl-Geschichte erwartet. Mindy ist in Kanada um den Drogenboss Billy Baker umzubringen. Er hat in New York miesen Stoff verkauft und, als er erfuhr, dass Hit-Girl ihn töten will, hat er sich in einer Jagdhütte bei Kashechewan, mitten im schneebedeckten Nirgendwo, versteckt.
Die schon auf den ersten Seiten sehr blutige, mit schwarzem Humor gesättigte Schlachtplatte hat alles, was man von einer Hit-Girl-Geschichte erwartet.
In „Kick-Ass: Frauenpower“ führen Mark Millar und sein Stammzeichner John Romita Jr., die auch die gemeinsamen Schöpfer von Kick-Ass sind, nicht die Geschichte von Dave Lizewski fort. Er war, so müssen wir nun sagen, der erste Kick-Ass. Er ging als anfangs glückloser Kämpfer für die Gerechtigkeit viral, wurde älter, hatte keine Lust mehr, verprügelt zu werden und hängte sein billiges Superheldenkostüm in den Schrank.
In „Kick-Ass: Frauenpower“ zieht deshalb die ehemalige US-Soldatin Patience die Kick-Ass-Maske über. In Afghanistan kämpfte sie gegen die Taliban. Zurück in ihrer Heimat Albuquerque, New Mexico, muss Patience sich mit den alltäglichen Problemen einer alleinerziehenden Mutter herumschlagen. Ihr Mann, den sie all die Jahre durchfütterte, ist mit einer anderen Frau durchgebrannt. Er geht nicht ans Telefon und selbstverständlich denkt er nicht daran, Alimente für ihre Kinder zu zahlen. Patience findet nur einen schlecht bezahlten Job als Kellnerin, während die Rechnungen sich stapeln und ihre Pläne für die Zukunft sich in Luft auflösen.
Als sie erfährt, dass sie außerdem für die Schulden ihres Mannes aufkommen muss, beschließt sie, das örtliche Drogenkartell zu bestehlen. Verkleidet als Superheld.
Das ist auf den ersten, zweiten und auch dritten Blick eine „Punisher“-Geschichte mit einer Frau als nahkampferprobte Kämpferin und Killerin.
„Frauenpower“ ist die sehr gelungene, allerdings auch deutlich konventionellere Fortführung des „Kick-Ass“-Mythos mit einem neuen Charakter. Immerhin ist sie kampferprobter als Dave Lizewski und ihre Motive sind nicht so edel wie die des selbstlosen Schülers. Auch wenn Patience, wie Robin Hood, die Hälfte der Beute verschenken will.
Ein zweites Abenteuer mit Kick-Ass Patience ist für Ende Juni angekündigt. Erzählt von Von Steve Niles (30 Days of Night) und Marcelo Frusin (Helllblazer).
Mark Millar/Ricardo Lopez Ortiz: Hit-Girl in Kolumbien
(übersetzt von Bernd Kronsbein)
Panini, 2018
116 Seiten
14,99 Euro
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Originalausgabe
Hit-Girl (2018) # 1 – 4
Image Comics, Februar – Mai 2018
Jeff Lemire/Eduardo Risso: Hit-Girl in Kanada
(übersetzt von Bernd Kronsbein)
Panini,2019
100 Seiten
14,99 Euro
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Originalausgabe
Hit-Girl (2018) # 5 – 8
Image Comics, Juni – September 2018
Mark Millar/John Romita Jr.: Kick-Ass: Frauenpower