Kommissar Kirchenbergs enttäuschender vierter Auftritt

horst-sterbezeit

Kann man einen Krimi schrieben, ohne den Täter zu präsentieren?

Ja, natürlich.

Kann man dafür gute Kritiken erhalten?

Ja, auch.

Aber nicht von mir. Denn für mich ist „Sterbezeit“ von Norbert Horst ein Roman, der den unsichtbaren Vertrag zwischen Erzähler und Publikum verneint. Dieser Vertrag besagt, dass der Erzähler am Ende eine Lösung für die von ihm eingangs aufgeworfene Frage liefert. Bei einem Krimi ist die Frage meistens „Wer ist der Täter?“ und am Ende wird der Täter überführt.

Schon in dem Polizeiroman „Blutskizzen“ strapazierte Horst diesen Vertrag, weil der Täter zwar ermittelt, aber entkommen konnte. In „Sterbezeit“, geht Horst auf diesem Weg noch einen Schritt weiter. Denn der Täter wird nicht mehr ermittelt, sondern am Ende hat Kommissar Konstantin Kirchenberg eine Vermutung, wer der Täter in einem alten Mordfall ist und wie sich die Tat abgespielt haben könnte.

Dieser zentrale Fall von „Sterbezeit“ beginnt mit dem Fund von zwei säuberlich abgetrennten, skelettierten Händen im Keller eines Mietshauses. Erst nachdem die Polizei eine neue wissenschaftliche Methode anwendet, können der Zeitpunkt der Tat und damit auch die zu befragenden Mieter genauer eingrenzt werden. Kirchenberg beginnt, mit einem neuen Kollegen, die ehemaligen Mieter zu befragen und die Vermisstenanzeigen durchzuforsten.

Dieser Mordfall wird mit dem Tod eines Drogensüchtigen und einer alten, kranken Frau, einem Fall von Drogenkonsum in der Verwandtschaft und Kirchenbergs Liebesgeschichte zu Ayse mühsam auf knappe dreihundert Seiten gestreckt.

Keiner dieser Subplots ist sonderlich interessant. Im Gegenteil. Die beiden privaten Plots bewegen sich auf dem Niveau einer Daily-Soap. Die drei Todesfälle sind letztendlich auch nicht viel besser. Doch während der Tod des Junkies und der alten Frau ohne große Mühe irgendwo in der Mitte des Buches aufgeklärt werden, gibt es bei dem Hauptfall keine Lösung.

Das ist, nachdem Horst in „Sterbezeit“ seinen vorherigen Roman mit keinem Wort erwähnt, nicht der Beginn eines zweiteiligen Romans (wie es Donn Cortez mit den „CSI: Miami“-Romanen „Mörderisches Fest“ und „Todsicheres Alibi“ tat), sondern einfach Verrat am Publikum. Denn das eingangs von dem Autor aufgeworfene Rätsel wird nicht gelöst. Er löst ein gegebenes Versprechen nicht ein, sondern beendet das Buch einfach indem er seinen Ich-Erzähler vage eine Vermutung äußern lässt, wer der Täter sei. Dieser Verstoß gegen die Genrekonventionen (und die Konventionen des Erzählens von Geschichten) könnte funktionieren, wenn Norbert Horst innerhalb der Geschichte ein anderes Thema präsentiert hätte, das er zu einem befriedigenden Schluss führen würde. Doch das tut er nicht. Deshalb ist „Sterbezeit“, genau wie ein Agatha-Christie-Roman bei dem die letzten Seiten fehlen, Zeitverschwendung.

Norbert Horst: Sterbezeit

Goldmann, 2008

288 Seiten

7,95 Euro

Hinweise

Homepage von Norbert Horst

Meine Besprechung von Norbert Horsts „Blutskizzen“

Nachtrag

Nachdem es in anderen Blogs eine Diskussion über diesen Text (vor allem meine Verwendung des Wortes „Vertrag“ gab), habe ich hier meine anderen Kritikpunkte gepostet.

6 Responses to Kommissar Kirchenbergs enttäuschender vierter Auftritt

  1. […] 1, 2008 von krimileser Nachdem Axel Bussmer Norbert Horst vorwarf, den Vertrag zwischen Autor und Lesern zu ignorieren, ist dpr gleich zum […]

  2. […] Dezember 2, 2008 Dies und das… , Krimis schreiben Viel wird derzeit geschrieben über →Verträge zwischen LeserInnen und AutorInnen, die von AutorInnen einseitig aufgekündigt werden, was die LeserInnen unzufrieden mache, worauf von […]

  3. […] unsinnigste “Diskussion” zum Thema Kriminalliteratur und Erwartungen kann man derzeit → hier, → hier und auch → hier nachlesen. Das hat in der Tat Krimi-Couch-Qualität. Ein Indiz […]

  4. […] in einer “Diskussion“ um das Buch “Sterbezeit“ von Norbert Horst. Sie beziehen sich auf → Ausführungen von Axel Bussmer, der in einer Kritik zu eben jenem Buch das unglückliche Bild von einem “Vertrag zwischen […]

  5. […] einem Buch so unversöhnlich gegenüberstehen, dass sie die Gemüter von Bloggern, wie bei dpr und Axel geschehen, erregen. Warum das ausgerecht bei dem Krimi von Norbert Horst eingetreten ist, konnte […]

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